Kultur, Freizeit & Tourismus

Jüdisches Leben

Jüdisches Leben in Groß-Umstadt

Geschichte

Die Geschichte der Groß-Umstädter Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens ist ausführlich beschrieben in den Büchern "Zur Geschichte der Juden und ihrer Synagoge" (1988) und "Sie waren Umstädter" (2010). Nach dem dramatischen und politisch fragwürdigen Abriss der Synagoge im April 1979 und ihrer Verlagerung in den Hessenpark Neu-Anspach wurde eine Gedenkstätte am Darmstädter Schloss errichtet, später ergänzt um eine Stele, die die (meisten) Namen der im sog. 3. Reich deportierten Juden trägt. Am 09. November traf sich immer wieder eine Gruppe engagierter Bürger zum Gedenken an das Pogrom 1938, andere veranstalteten Lesungen oder Gedenkminuten. Die Situation war aber die, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen unabhängig voneinander versuchten, die Erinnerung lebendig zu halten, aber eine kommunale Erinnerungskultur nicht bestand.

So bildete sich im Jahr 2009 der Runde Tisch "Jüdisches Leben in Groß-Umstadt" mit dem Ziel, das Gedenken und das Bewusstsein der langen, gemeinsamen Geschichte deutlicher als bisher zu pflegen.



Der Runde Tisch Jüdisches Leben in Groß-Umstadt

Die Gründung des Runden Tisches wurde im Jahr 2009 von Pfarrer Arno Kreh angeregt, um die Gedenk-
veranstaltungen zum 9. November zu koordinieren. Das offene Gremium versteht sich nicht nur als ein Forum
zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, sondern sieht sich auch als ein Umstädter Bündnis für Toleranz, Friedfertigkeit und Solidarität mit allen Bevölkerungsgruppen. Neue Mitglieder sind jederzeit willkommen.
Am Runden Tisch sind Vertreter der Stadt Groß-Umstadt, der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden, des Max-Planck-Gymnasiums, der Bürgerstiftung, des ehemaligen Vereins zur Rettung der Umstädter Synagoge, des Bunds Deutscher Pfadfinder*innen und weitere Organisationen vertreten.

Im Laufe der Jahre hat der Runde Tisch zahlreiche Initiativen gestartet oder unterstützt. So wurden bei Verlege-Aktionen durch die Umstädter Ortsgruppe des BDP insgesamt 26 Stolpersteine vor den Wohnhäusern der
Umstädter Juden verlegt. Über die Jahre hinweg wurde die Wiedereröffnung der Umstädter Synagoge im Freilichtmuseum Hessenpark angemahnt und konstruktiv bei der Planung mitgearbeitet

 


Stolpersteine

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ (Gunter Demnig)


Am Sa. 15. Februar 2011 wurden die ersten Stolpersteine vor den Häusern platziert, aus denen während der Nazi-Diktatur jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger vertrieben bzw. verschleppt wurden. 7 Steine wurden in einer 1. Aktion von Herrn Demnig verlegt, die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Schulen war ebenso beeindruckend wie die unterschiedlichen Wort- und Musikbeiträge:

  • Curtigasse 6 (Stein)
  • Untere Marktstr. 10 (1 Stein)
  • Untere Marktstr. 3 (1 Stein)
  • Obere Marktstr. (4 Steine)

Am Mo. 14. Mai 2012 fand unter großer Teilnahme der Bevölkerung die 2. Verlegeaktion statt, die von Musik, einem Erzählgedicht (8. Schulklasse) und nachdenklichen Wortbeiträgen geprägt war:

  • Untere Marktstr. 10 (2 Steine)
  • Curtigasse 5 (1 Stein)
  • Im Pfarrhof 10 (1 Stein)
  • Schulstraße 19 (2 Steine)
  • Bachtorstr. 32 (4 Steine)

Die 3. und letzte BDP-Aktion fand am Sa. 15. Februar 2014 statt. Der BDP (Bund Deutscher Pfadfinder, Ortsgruppe Groß-Umstadt), der Bürgermeister und die Ortsvorsteherin Erna Macht haben gesprochen, Schülerinnen und Schüler der Gruppe „Darstellendes Spiel“ des Max-Planck-Gymnasiums haben einen eindrucksvollen szenischen Beitrag geleistet, Dietrich Klos das Geschehen auf dem Saxophon begleitet:

  • Heinrich-Möser-Str. 12 - Rathausplatz Klein-Umstadt (1 Stein)
  • Obere Marktstr. 4 bis 6 (7 Steine)
  • In der Fahrt 5 (1 Stein)

9. November

Die jährliche Gedenkfeier zur Pogromnacht unter Beteiligung der politischen Mandatsträger, des Magistrates, der Kirchen, der Schulen, des BDP, von Vereinen und Bürgern, insbesondere Mitgliedern des ehem. Vereins zur Bewahrung der Synagoge gehört ebenso zum neuen Umgang mit unserer Vergangenheit. Ausgangspunkt ist jeweils die Gedenkstätte, an der Repräsentanten oder Jugendliche kleine Ansprachen, szenische oder musikalische Beiträge leisten und somit eine ganz besondere Feierstunde mitgestalten.


Die Groß-Umstädter Synagoge


1979 abgerissen und dem Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach übereignet, fehlt die Synagoge seitdem in Groß-Umstadt. Eine Infotafel am ehemaligen Standort „In der Fahrt“ tröstet nur wenig, die Gedenkstätte am Darmstädter Schloss ist wichtig und wertvoll, aber eben nicht das Original.

Am neuen Standort fristete sie viele Jahre ein unwürdiges Dasein als Abstellraum, bis zwei Dinge zusammenkamen: Die Museumsleitung im Hessenpark wechselte und in Groß-Umstadt bildete sich der Runde Tisch „Jüdisches Leben“. Gemeinsam gelang eine völlig neue Betrachtung und Umgehensweise, am 3. Mai 2012 konnte die Umstädter Synagoge im Freilichtmuseum endlich wieder eröffnet werden. Über achtzig Umstädter Bürgerinnen und Bürger reisten nach Neu-Anspach, um dem Festakt beizuwohnen. Als einziger Jude mit Umstädter Wurzeln war Rabbi Dr. Ernst M. Stein aus England angereist. Er hielt eine sehr persönliche und bewegende Ansprache.

Seit 2016 erzählt eine hochwertige Dauerausstellung vom "Jüdischen Landleben in Südhessen". U.a. werden 4 Familien vorgestellt, darunter auch die Fam. Rapp aus Groß-Umstadt, auf der Empore zeigt eine Dokumentation die 4 südhessischen Synagogen aus Dieburg, Zwingenberg, Groß-Umstadt und Michelstadt.

Im Hauptraum geht es an 5 Thementischen um die Lebensbereiche:

  1. Jüdischer Glaube
  2. Jüdischer Alltag
  3. Jüdisches Erwerbsleben
  4. Jüdische Kultur
  5. Emanzipation, Integration und Verfolgung

Die Ausstellung wurde nach modernsten Gesichtspunkten und Methoden aufgebaut, die Infotische bieten u.a. Hörstationen, Klappen zum nachstöbern, Schubladen zur „Vertiefung“, Blätterkästen und vieles mehr. Hinschauen und Entdecken sind ausdrücklich gewollt.

Die bisherige, „vorläufige“, Ausstellung wurde dem Museum Gruberhof überlassen, wo Ostern 2017 die komplett neu konzipierte Ausstellung zum jüdischen Leben in Groß-Umstadt eröffnet wurde.


1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland

Die jüdische Gemeinschaft beging 2021 ein besonderes Jubiläum: Auf eine Anfrage aus Köln erließ der römische Kaiser Konstantin vor 1700 Jahren ein Edikt, wonach Juden in Ämter der Kurie und der Stadtverwaltung berufen werden konnten. Dieses Dekret aus dem Jahr 321 gilt als der älteste Beleg für die Existenz jüdischer Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands.

Möglichst viele Menschen sollten die Möglichkeit haben, jüdischer Geschichte zu begegnen und ebenso den Alltag jüdischer Menschen in Deutschland besser kennenzulernen. Auf diese Weise wurde zudem ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt. Auch in Groß-Umstadt fand ein vom Runden Tisch Jüdisches Leben konzipiertes, umfassendes Veranstaltungsprogramm im Zeichen des Jubiläums statt, das durch die Förderung der Stadt Groß-Umstadt bei freiem Eintritt stattfinden konnte und sehr gut besucht war.